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Jetzt erst recht: Klima-, Umweltschutz und Krisen

Verantwortlicher Autor: Lydia Budiner Berlin, 26.07.2022, 14:24 Uhr
Presse-Ressort von: Abgehakt Bericht 7191x gelesen
Klimaschutz JETZT = Gesundheitsschutz
Klimaschutz JETZT = Gesundheitsschutz  Bild: Lydia Budiner

Berlin [ENA] Ist es in Zeiten einer Pandemie erlaubt auch an Klima- und Umweltschutz zu denken? Oder ist das obsolet – weil es viel Wichtigeres gibt? Oder gibt es gar einen Zusammenhang zwischen Pandemien und Klima- und Umweltschutz? Wir wollen diesen Fragen hier einmal nachgehen.

Was haben Affenpocken, Corona, Ebola, HIV und Influenza gmeinsam? Was ist der gemeinsame Nenner von SARS, MERS und COVID 19? Und was hat die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) mit solchen Erkrankungen zu tun? Gibt es da Zusammenhänge? Welche Rolle spielt dabei die Umweltzerstörung und der Klimawandel? Fragen über Fragen - auf einige werden wir hier Antworten finden. Lesen Sie weiter.

Pandemien gar nicht so selten

Seit dem frühen 20. Jahrhundert haben sich vier Influenza-Pandemien ereignet, die vor allem auf die „Mutter aller Pandemien“, d.h. die Spanische Grippe zurückzuführen sind und durch verschiedene Abwandlungen des auslösenden Erregers hervorgerufen wurden. Wasservögel bilden das ursprüngliche Reservoir von Influenza-Viren, die dann u.a. Haustiere wie Pferde, Hühner oder Schweine infizieren können. Von diesen Tieren aus können die Influenza-Viren dann auf den Menschen übertragen werden und zu virulenteren Subtypen mutieren. Man nennt virale Infektionen, die sowohl bei Tieren (Wirbeltieren) als auch bei Menschen vorkommen, Zoonosen. Zoonosen sind die Basis einiger Pandemien.

Wissenschaftler des RKI (Robert-Koch-Institutes) haben folgende Schätzwerte bzgl. der Influenza-Ausbrüche veröffentlicht (Buchholz et al.: Todesfälle durch Influenzapandemien in Deutschland 1918 bis 2009. Bundesgesundheitsblatt, 4/2016): • 1918/19 (verursacht durch den Suptyp A(H1N1)), die „Spanische Grippe“: geschätzt 426.600 pandemiebedingte Todesfälle in Deutschland (nach WHO-Angaben 20- bis 50 Millionen pandemiebedingte Todesfälle weltweit) • 1957/59 (verursacht durch den Subtyp A(H2N2), die „asiatische Grippe“: geschätzte 29.100 pandemiebedingte Todesfälle in Deutschland (nach WHO-Angaben 1- bis 4 Millionen pandemiebedingte Todesfälle weltweit) •

• 2009/10 (verursacht durch den Subtyp A(H1N1) pdm09), die „Schweine-Grippe“: geschätzte 350 pandemiebedingte Todesfälle (gemeldet: 252) in Deutschland (nach WHO-Angaben ca. 200.000 pandemiebedingte Todesfälle weltweit). Am Beispiel der Schweine-Grippe ist gut nachvollziehbar, wie komplex sich Viren wandeln können. Im Jahr 2009 tauchte in Mexiko ein neuartiges Grippevirus auf, der sich in der Folge weltweit verbreitete. Die Vorläufer-Viren enthielten Erbanlagen von Influenzaviren aus Schwein, Vogel und Mensch, infizierten Menschen aber nur selten. Das 2009 erstmals nachgewiesene pandemische H1N1-Virus enthielt zusätzlich noch zwei Gene von Influenzaviren, die man aus Schweinen kannte und die ursprünglich von Vögeln abstammten.

Vielfach zirkulieren die Influenza-Viren ohne Krankheitssymptome hervorzurufen in Wasservögeln, die ihren natürlichen „Wirte“ sind. Wenn sie jedoch in als Nutztiere gehaltene Vögel gelangen, können sie große wirtschaftliche Schäden verursachen und ein Risiko für Mensch, Pferd und Schwein darstellen. Schweine gelten dabei häufig als potentielle „Mischgefäße“ für genetische Neukombinationen der Influenza-Viren. Durch fortlaufende genetische Veränderungen und Virus-Übertragungen über verschiedene Tierarten bis zum Menschen, können immer wieder neue Influenza-Erreger entstehen und zu neuen Pandemien führen.

• Corona/ SARS COV2- Virus – bis heute in Deutschland: 142.948 COVID19 Todesfälle Die „jüngsten“ Viren, die sowohl bei Tieren, als auch beim Menschen Krankheiten auslösen können, sind die Corona-Viren. Corona-Viren (CoV) verursachten die Lungenerkrankung SARS, die erstmals Ende 2002 in China beobachtet wurde und im Frühjahr 2003 auf mehreren Kontinenten auftrat und seinen Ursprung im Tierreich hatte. Das Akronym SARS steht hierbei für “Schweres Akutes Atemwegssyndrom”. Vermutlich übertrug sich das SARS-CoV über wilde, in China als Delikatessen gehandelte Schleichkatzen (Paguma larvata) auf den Menschen.

Das Akronym MERS steht für „Middle Eastern Respiratory Syndrom“ (Atemwegs-Syndrom im Nahen Osten). Das mit dem SARS-Erreger verwandte MERS-CoV wurde offenbar über Kamele auf Menschen übertragen. Es ist 2012 erstmals aufgetaucht und verursacht seither immer wieder Erkrankungen und Todesfälle, in erster Linie auf der arabischen Halbinsel. Zugegeben seit 1918 hat sich einiges in den Gesundheitssystemen getan, die Zahl der Todesfälle sind gesunken und Impfungen dämmen die Influenza-Ausbrüche immer wieder erfolgreich ein – dennoch sterben auch heute noch Menschen an Influenza (2020 waren es mehr als 1.300, 2018 sogar mehr als 3.000 Todesfälle).

Globalisierung und Klimawandel, die Zunahme der Weltbevölkerung und das damit einhergehende Vordringen der Menschen in immer entlegenere Gebiete u.a. zur Nahrungsgewinnung, zur Landgewinnung für Ackerbau, Viehzucht, der Handel mit Wildtieren, aber auch Massentierhaltungen können das Auftreten neuer Krankheitserreger beschleunigen. Die starke Reisetätigkeit der Menschen, die wachsende weltweite Vernetzung und Zusammenarbeit, erlauben es heute mehr noch als in früheren Jahren, dass einzelne Infizierte eine große Menge an weiteren Menschen weltweit infizieren können. Wildtierhandel ermöglicht auch auf dem Niveau der Tiere eine rege Durchmischung mit Krankheitserregern aus verschiedenen Ländern – Experten warnten schon vor mehr als 10 Jahren.

Durch Flugreisen rückt die Welt zusammen. Ein Virusträger kann in einer Woche Menschen rund um den Globus infizieren, ein mit einem neuen Virus eingeführtes Wildtier, kann viele andere Tiere oder gar den Menschen infizieren. Die Verbreitung und die Geschwindigkeit der Verbreitung einer Infektionskrankheit in einer immer engen zusammen lebenden Gesellschaft mit immer weniger und immer größeren Agrarbetrieben ist heute höher als noch vor 100 Jahren.

Zoonosen und neue Krankheitserreger in der Gegenwart

All das o.g. hat mit dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahrzehnten fast jedes Jahr ein neuer klinisch relevanter Krankheitserreger aufgetaucht ist. Das Tierreich ist dabei ein fast unerschöpfliches Reservoir für unvorhergesehene Infektionsgefahren. Insgesamt sind ca. 60% der neuen Infektionskrankheiten Zoonosen, viele sind auf Wildtiere zurückzuführen (72%; Jones K. et al. 2008)

Ein Wechsel vom Tier zum Menschen lag auch beim Humanen Immundefizienz Virus – kurz HIV-vor. Das Virus führt nach einer Infektion des Körpers langfristig zur Immunschwäche AIDS. Es sprang aller Wahrscheinlichkeit nach im frühen 20. Jahrhundert erstmals vom Affen auf den Menschen über. Ab Ende der 1970erJahre verbreitete es sich um die ganze Welt. Weltweit sind heute über 36 Millionen Menschen mit HIV infiziert. In Deutschland leben derzeit ca. 80.000 HIV-positive Menschen. Jährlich erkranken hier 3.500 Personen neu und 500- 600 p.a. sterben an AIDS.

Auch der große Ebola-Ausbruch 2014/2015 in Westafrika hat seinen Ursprung im Tierreich, vermutlich trat der Erreger von Fledermäusen auf Menschen über. Noch (!) ist diese Erkrankung nicht über die Grenzen des Ursprungskontinentes Afrika hinaus verbreitet – es bleibt zu hoffen, dass Mutationen und ein verlängerter Krankheitsverlauf nicht doch zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Ausbreitung führen könnten.

Derzeit breiten sich nun die Affenpocken in Europa als Erkrankung des Menschen aus. Die Affenpocken wurden erstmals bei in Gefangenschaft gehaltenen Affen in Kopenhagen im Jahre 1958 gefunden. Die erste Erkrankung eines Menschen wurde 1970 bei einem Kind im Kongo dokumentiert(Di Giulio, D.B. et al. 2004). Lange blieb auch diese Erkrankung lokal auf Afrika beschränkt. Jetzt ist diese Erkrankung in der Welt angekommen. Anders als der Name vermuten lässt, kann der Affenpockenvirus nicht nur von Affen, sondern auch von Ratten übertragen werden. Diese gedeihen bekanntlich prächtig in unseren Städten und der Affenpockenvirus breitet sich von Mensch zu Mensch und evtl. auch über die tierischen Überträger weiter aus.

Durch die stark vernetzte Weltbevölkerung können solche modernen Krankheitsausbrüche schnell zu Pandemien werden. Viele Menschen waren schockiert, mit welcher Geschwindigkeit sich COVID 19 weltweit ausgebreitet hat. Dabei warnen Wissenschaftler schon seit Langem vor solchen Pandemien. Die Eingriffe in natürliche Lebensräume, der Rückgang der Artenvielfalt und die Störung von Ökosystemen machen es sehr viel wahrscheinlicher, dass Viren, die bei ihren natürlichen „Wirten“ keine Symptome auslösen, auf andere Arten (Nutztiere oder Menschen) übergreifen und so enorme Schäden anrichten können.

Der Handel mit lebenden Wildtieren boomt. Internationale Studien konnten zeigen, dass in der Zeit von 2012 bis 2016 insgesamt 11.569.796 lebende Wildtiere (ca. 1316 verschiedene Arten) aus 189 Ländern exportiert wurden. Hauptexportländer sind dabei u.a. China, Nicaragua, Peru, Südafrika. Importiert wird in die USA und andere Industrienationen und von diesen rühren die meisten, der Weltorganisation für Tiergesundheit gemeldeten Tierkrankheiten. Die Gefahr für neue Pandemien aufgrund von der Entstehung neuer Zoonosen u.a. durch Wildtierhandel ist groß. Mehr als zwei Drittel der neuen Krankheiten gehen auf Tiere zurück, 70 Prozent davon stammen von Wildtieren. Viele Infektionskrankheiten gehören dazu - Ebola, HIV, Schweine- und Vogelgrippe.

Was hat Klimawandel damit zu tun?

Klimawandel wird den Lebensraum der einheimischen Flora und Fauna verändern. Niederschlagsmenge, -dauer und -frequenz, Sonnenstunden, Durchschnittstemperaturen, Vegetationsperioden etc. werden die einheimische Flora und Fauna als Lebensgrundlage für Wild- und Nutztiere verändern. Was hat das mit neuen Erkrankungen zu tun? Einerseits können Krankheitsüberträger wie z.B. Mücken, Bremsen, Gnitzen, in einigen Regionen dann besser gedeihen und evlt. zusätzliche Infektionskrankheiten übertragen, in anderen Regionen können sie dagegen entfallen. Andererseits können Tiere aufgrund z.B. von längeren Trockenzeiten oder kürzeren Vegetationsperioden schlechter gedeihen und so anfälliger für Erkrankungen werden.

Andererseits werden Menschen aufgrund von geänderten Bodenverhältnissen, Wüstenbildung oder Überschwemmungen gezwungen sein, sich neue Lebensräume und neue Nahrungsquellen zu erschließen. Dabei werden sie zwangsläufig in dem neuen Lebensraum mit den dort ansässigen Bewohnern in engeren Kontakt treten, neue Tiere auf den Speiseplan setzen und so evtl. weiteren Zoonosen Vorschub leisten.

Malaria in Deutschland

Neben Viren gibt es selbstverständlich auch noch andere Krankheitserreger. Dazu gehören Bakterien, aber auch Parasiten wie Plasmodien. Die Plasmodien werden z.B. mittels einiger Anopheles Mückenarten auf den Menschen übertragen und verursachen Malaria. Und Malaria war lange durchaus auch eine Plage in Deutschland (Hirsch et al. 1860). Im 18. Jahrhundert begann der allmähliche Rückgang der einheimischen Malaria, doch persistierte sie auch noch bis ins 19. Jahrhundert. Danach verschwand die Malaria aus Deutschland bis 1950 ganz und damit auch das Interesse an den ortsansässigen Anopheles Mücken.

Klimawandel und die asiatische Tigermücke

Klimaveränderungen und damit einhergehende mildere Winter können die Ausbreitung von Mückenarten begünstigen. Dazu zählen auch nicht heimische Mücken wie die Asiatische Tigermücke. Die asiatische Tigermücke, Aedes albopictus, (Asiatische Tigermücke erneut in Berlin nachgewiesen - Mückenatlas (mueckenatlas.com)ist über Süddeutschland seit 2021 auch bis nach Berlin und Brandenburg vorgedrungen. In Italien ist sie fast flächendeckend verbreitet. In Deutschland waren lange nur Vorkommen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen bekannt. Im Jahr 2021 wurden einzelne adulte Mücken und auch Larven der Asiatischen Tigermücke im Land Berlin gefunden. Die Gesundheitsämter sind alarmiert (Asiatische Tigermücke - Berlin.de).

Diese Mückenart gilt als Überträgerin von human- und tierpathogenen Erregern, darunter das Chikungunya-, das Dengue-, das Gelbfieber-, und das West Nil-Virus. Darüber hinaus wurde diese Art in Europa als Überträger der Hundeherz- und -hautwürmer Dirofilaria immitis und D. repens nachgewiesen (Weitere Informationen und wie Sie sich schützen können finden Sie hier: Die Asiatische Tigermücke (umweltbundesamt.de); flyer-tigermuecke_allg.pdf etc.. Es gibt noch eine Vielzahl an Viren, die durch Überträger (sog. Vektoren) auf die Zielorganismen (Tiere oder Menschen) übertragen werden. All diese Viren werden unter dem Oberbegriff Arboviren zusammengefasst.

Und was machen wir jetzt?

Die Verbreitung von Erkrankungen und neuen Tierarten in unseren Breiten, die als Vektoren dienen können, sollte nicht Hindernis, sondern Ansporn sein, weiter die Themen Klima- und Umweltschutz voranzutreiben. Wir müssen uns behutsam auf den unvermeidbaren Klimawandel einstellen – weltweit. Wir müssen uns fragen, wie unsere Bäume und Wälder besser auf andere Temperaturen, Vegetationsperioden und Niederschlagsmengen vorbereitet oder angepasst werden können und gleichzeitig konsequent und effektiv Maßnahmen umsetzen, um den Klimawandel zu kontrollieren oder zu stoppen. Wir brauchen Zeit, bis wir wissen, welche Nutzpflanzen auch unter neuen klimatischen Verhältnissen gedeihen und wie wir eine klimaneutrale Energieversorgung gewährleisten können

Pandemien, Epidemien und die jüngsten Ereignisse in der Ukraine haben uns gezeigt: „Weniger-ist-Mehr“, plötzlich neue Ressourcen, neue Perspektiven und neue Möglichkeiten eröffnet und uns angeregt, alte Gewohnheiten abzulegen, unser Verhalten zu ändern. Nachhaltiger Konsum, menschliches Miteinander, Solidarität, Hinsehen und nicht Wegschauen – dass sollten wir uns auch für die Zukunft bewahren.

Das Gute liegt so nah

Die Zahl der Fußgänger ist in den Zeiten von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen gestiegen – plötzlich finden sich wieder Familien auf Wanderschaft im Wald und lernen, dass das Gute so nah ist und für die Gesundheit so wichtig. Nicht die Kreuzfahrt in die Karibik macht glücklich, sondern menschliche Nähe und ein Waldspaziergang. Damit das auch in der Zukunft möglich ist, brauchen wir Klima- und Umweltschutz JETZT.

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